Rezension „Das unheimliche Element“ (H. Hamm) und „Das Wunder von Gorleben“ (W. Ehmke)

„Ohne das Ziel, Atombomben zu bauen, wäre der Abbau von Uran wahrscheinlich nie vorangetrieben worden.“ Dieser zentrale Satz in Horst Hamms Buch „Das unheimliche Element“ bringt den Auslöser der Atomenergienutzung auf den Punkt. Sie spiegelt das wider, was Frankreichs Präsident Macron vor einigen Jahren vor Angestellten einer Atomfabrik so prägnant zusammenfasste: „Ohne die zivile Atomkraftnutzung gäbe es keine militärische, ohne militärische Atomkraftnutzung keine zivile.“ Das erinnert an die tragische Geschichte der ersten Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki mit zusammen mehr als 200 000 Opfern. Atomkraft wurde entwickelt, um gefährlich zu sein. Darum geht es ja auch in dem aktuellen Film „Oppenheimer“.

Alle anderen Argumente, wie „billige Energie“ oder in letzter Zeit auch „Klimarettung“, wurden im Laufe der Zeit nachgeschoben, um die Atomkraftnutzung öffentlich zu rechtfertigen. Es ist das Verdienst von Hamm, die Kernpunkte bei der Atomkraftdebatte immer wieder klar auf den Punkt zu bringen und dabei auf 240 Seiten kompakt und verständlich die größten Probleme der Atomenergie anzusprechen.

Sein Ansatz ist es, „die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung“ auszuleuchten. Dazu nimmt er die Leser:innen kenntnisreich mit auf eine Reise um den Globus – in die Uranabbaugebiete des Niger, in den Westen der USA, wo zahlreiche Atombombentests stattfanden, nach Tschernobyl und Fukushima, wo die bislang schwersten Atomunfälle das Vertrauen in die Beherrschbarkeit der Atomenergie erschütterten, bis in die Forschungslabore der Atomlobby, die immer weiter ihre unrealistischen Hoffnungsstorys vom Erlöser Atomenergie spinnen.

Der Umweltjournalist Hamm arbeitet bei der Nuclear Free Future Foundation auch federführend an der Weiterentwicklung des wichtigen „Uranatlas“, zu dem auch das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen einen Beitrag leistet (https://www.nuclear-free.com/uranatlas.html). Aus der internationalen Arbeit am Uranatlas zeigt Hamm anschaulich am Beispiel des Niger, aber auch des Kongos und Südafrikas, die koloniale Ausbeutung der weltweiten Uranabbaugebiete auf. Uranabbau und auch die Atombombentests betrafen und betreffen vor allem die Lebensräume indigener Völker. Wer heute Klimagerechtigkeit fordert, kann diese krasse Ausbeutung nicht ignorieren, da sie enorme Umwelt- und Gesundheitsschäden verursacht sowie schwere Menschenrechtsverletzungen mit sich bringt. Hamm geht auch auf die atomaren Abrüstungsfragen ein, die er nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine skeptisch beurteilt. Der mögliche Einsatz von Atomwaffen war seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr so oft in den Schlagzeilen.

Aber Atomkraft spielt auch in Deutschland nach der Abschaltung der letzten AKWs noch eine wichtige Rolle: Ein ausführlicher Abstecher zur Urananreicherungsanlage Gronau und zur Brennelementefabrik in Lingen verdeutlicht, wie stark Deutschland weiterhin im internationalen Atomgeschäft verankert bleibt – und dabei auch weiterhin mit dem russischen Atomkonzern Rosatom Geschäfte macht, obwohl dieser z. B. das militärisch besetzte ukrainische AKW Saporischschja für den Kreml verwaltet.

Vom „Klimaretter“ Atomkraft bleibt auch nicht viel übrig, auch nicht von den neuen AKW-Generationen oder den kleineren Modulreaktoren. Hamms Fazit: „Kernenergie ist und bleibt eine Hochrisikotechnologie, im zivilen wie im militärischen Bereich.“ Er fordert deshalb die sofortige Beendigung des Atomzeitalters – ein sehr lesenswertes Buch!

Aus einer ganz anderen Richtung nähert sich Wolfgang Ehmke, der langjährige Sprecher der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, der Atomfrage. In seinem Buch „Das Wunder von Gorleben“ skizziert er den 45-jährigen Kampf gegen das einstige Flaggschiff-Projekt der Atomindustrie und mehrerer Bundesregierungen, das Endlager-Projekt im Salzstock von Gorleben. Ehmke war immer dabei und hat den Widerstand vor Ort oftmals nach außen vertreten – immer sachkundig, ruhig im Ton, aber sehr entschlossen.

Wie hoch er den endgültigen Ausstieg aus diesem politisch gewollten, aber sachlich niemals begründeten Gorleben-Projekt bewertet, macht schon der Titel deutlich. Das „Wunder“ fiel aber nicht vom Himmel, sondern wurde von Zehntausenden Menschen durch unzählige Proteste hart erkämpft – und letztlich stehen doch über 100 Castoren mit hochradiaoaktivem Atommüll im 1995 eröffneten Zwischenlager. Das „Wunder“ kam nicht ohne Preis.

Und die sichere Entsorgung von Atommüll ist weltweit weiterhin ungelöst – ein mehr als 75-jähriger Flug ohne Landebahn. Wichtig deshalb Ehmkes Blick zum desaströsen Atommüllager Asse II, zum von der DDR übernommenen Endlager Morsleben sowie zum seit 40 Jahren höchst umstrittenen Endlagerprojekt Schacht Konrad für mittel- und schwachradioaktiven Atommüll. Das ehemalige Bergwerk soll Ende der 20er-Jahre in Betrieb gehen, wäre aber nach dem jetzigen Stand von Wissenschaft und Technik längst nicht mehr genehmigungsfähig. Das Versprechen von 1 Mio. Jahre Sicherheit bei der Atommüllentsorgung wird letztlich aus Kostengründen immer kleiner gerechnet – auf Kosten künftiger Generationen. Auch hier wäre ein Neuanfang vor einer „weißen Karte“ dringend geboten.

Auch Ehmke greift weiter aus – er erinnert an die Geschichte der Atomenergienutzung in Deutschland und ordnet Gorleben hier ein. Unvergessen im Münsterland ist z. B. Ehmkes Ankündigung live in den Abendnachrichten während des Castor-Transports 1997, den Widerstand nun zum Zwischenlager Ahaus zu tragen, um dort den nächsten Castor zu verhindern. Damit schuf er eine der Grundlagen, die den Ahaus-Castor 1998 zu einem der größten Polizeieinsätze in NRW werden ließen und Ahaus auf lange Sicht als bundesweit „zentrales“ Zwischenlager verbrannte.

Der Untertitel des Buches weist zudem in eine aktuelle Richtung: „Der Beitrag des Wendlands zur Energiewende.“ Genau wie Hamm widmet er diesem Teil auf seinen kompakten 154 Seiten breiten Raum. Denn der Widerstand gegen die Atomenergie war von Beginn an auch mit dem Drang zur Entwicklung der Erneuerbaren Energien verbunden. Der Protest in Gorleben oder auch im badischen Wyhl gab dazu entscheidende Impulse. Kaum noch vorstellbar ist, wie hart der Bau der ersten Windräder in der alten Bundesrepublik gegen ablehnende Bürokratien und Landesregierungen durchgerungen werden musste. Wer Atomkraft befürwortete, war zumeist auch Gegner der Erneuerbaren, denn die Erneuerbaren haben der Atomkraft das Wasser abgegraben. Es ist deshalb wohl auch kein Zufall, dass ein Atomland wie Frankreich (oder auch Bayern) bei den Erneuerbaren so hinterherhinkt.

Ehmkes Reise durch 45 Jahre Widerstand in Gorleben macht deutlich, wie hartnäckig eine politische Graswurzel-Bewegung sein muss, um letztlich Erfolg zu haben. Übertragen auf die heutige Klimabewegung ist aber klar, dass wir schlicht nicht mehr die Zeit haben, nochmal 45 Jahre um Kohle, Gas und Öl zu ringen. Alle Argumente sind bekannt, es gibt keinen Planeten B. Wer aus Gorleben lernen will, muss jetzt bei der Energiewende endlich auf die Tube drücken. Doch die aktuelle Politik in Berlin und bei vielen der alten Konzerne und Parteien verheißt nichts Gutes: Abriss von Lützerath, Konzentration auf LNG-Flüssiggas, Einkauf von Kohle aus Südafrika oder Kolumbien, kein Tempolimit auf Autobahnen – und das ist nur der deutsche Beitrag zur Klimapolitik.

Hamm und Ehmke verbinden die Atomkraft mit diesen aktuellen Debatten. Deswegen sind ihre Bücher wertvolle Beiträge. Ehmkes Buch soll im Herbst sogar schon in der zweiten Auflage erscheinen. Hamms Buch wurde aktuell als „Wissensbuch des Jahres“ nominiert.

Horst Hamm: Das unheimliche Element. Oekom 2023, www.oekom.de.

Wolfgang Ehmke: Das Wunder von Gorleben, Köhring 2022, https://www.bi-luechow-dannenberg.de/produkt/das-wunder-von-gorleben/