Update 22.11.: Zusammenfassung des EÖT (PM von einwendenden Initiativen)
– Brennelementhersteller Framatome wich unbequemen Fragen beständig aus
− 20 Rosatom-Mitarbeiter waren schon unkontrolliert in Lingen
− Rosatom als Teil von russischer Regierung an Kriegsverbrechen beteiligt
Kurz vor Abschluss des dreitägigen Erörterungstermins zum Ausbau der Brennelementefabrik Framatome ANF in Lingen unter Beteiligung der russischen Atombehörde Rosatom sehen sich die Anti-Atom-Organisationen in ihren Bedenken bestätigt. In vielen zentralen Fragen wichen die Konzernvertreter den Fragen der Einwender*innen aus. Zudem gaben sie erschreckende Sicherheitslücken im Umgang mit Rosatom zu:
1. Framatome ANF gab zu, dass sich im Frühjahr rund 20 Rosatom-Mitarbeiter*innen mehrere Wochen lang in Lingen aufhielten und dabei rund 20 Mitarbeiter*innen von Framatome schulten. Laut Framatome fand aber keinerlei Sicherheitsüberprüfung der Rosatom-Mitarbeiter statt.
2. Es stellte sich heraus, dass Framatome allein auf eine Kooperation mit dem Präsident Putin persönlich unterstellten Kreml-Konzern Rosatom setzt. Kooperationen mit anderen Brennelementeherstellern, die bereits in der Lage sind, Brennelemente russischen Typs herzustellen, wurden nicht in Betracht gezogen.
3. Es zeichnet sich nunmehr ebenfalls ab, dass die Lizenzkooperation mit Rosatom langfristig bestehen bleiben könnte. Die bisherige Aussage Framatomes, dass die Kooperation nur eine „kurzfristige“ Übergangslösung sei, wurde damit revidiert.
4. Auf beharrliche Fragen zum Verhältnis Framatomes zur Ukraine und zur militärischen Besetzung des ukrainischen AKW Saporischschja unter Beteiligung von Rosatom gingen die Framatome-Vertreter nicht ein.
5. Framatome musste zugeben, dass die angeblich eigenständige Fertigung von VVER-Brennelementen in Lizenz nur mit zahlreichen in Russland gefertigten Vorprodukte möglich ist. Auch ein Teil der Brennstäbe wird aller Voraussicht nach fertig verschweißt aus Russland geliefert. Dies eröffnet unzählige Möglichkeiten, Brennelemente zu manipulieren und zu sabotieren und damit Schäden in den belieferten AKW anzurichten.
„Der Erörterungstermin hat in dramatischer Form verdeutlicht, mit welcher Naivität Framatome ANF dem Kreml-Konzern Rosatom den roten Teppich ausrollt. Die fehlenden Sicherheitsüberprüfungen der 20 in Lingen tätigen Rosatom-Mitarbeiter durch Framatome sind ein eklatantes Beispiel dafür, dass Framatome die aggressive Politik der russischen Regierung und die enge Verquickung Rosatoms mit den russischen Geheimdiensten nicht ernst nimmt. Das lässt bei uns in Lingen alle Alarmglocken schrillen.“
„Im Erörterungstermin wurde deutlich, dass Framatome ANF Fakten über die umfassende Verantwortung von Rosatom im zivilen und militärischen Bereich der Atomkraft, also auch für Atomwaffen, systematisch ausblendet. Doch Rosatom arbeitet und verantwortet als Atombehörde den gesamten zivilen und militärischen Bereich der russischen Atomtechnologie. Mit der wiederholten Antwort ‚Das ist nicht Gegenstand unseres Antrags‘ weigerte sich Framatome ANF, die ausgeprägten Gefahren der Zusammenarbeit mit Rosatom für die notwendige Sicherheitskultur im Atombereich zur Kenntnis zu nehmen. Für die IPPNW ist eine Firmenkooperation mit einem solchen Partner inakzeptabel. Die Bundesregierung, die letztlich die Entscheidung treffen wird, muss den Einfluss von Rosatom stoppen und den Atomausstieg konsequent weiterführen.“
„Framatome ANF konnte die in der Erörterung diskutierten Szenarien sicherheitsgefährdender Spionage und Sabotage nicht ausschließen. Darunter fällt sogar die Frage, ob Rosatom unbemerkt Sprengstoff in die in Lingen gefertigten Brennelemente einbringen kann. Rosatom hat zum Beispiel im ukrainischen AKW Saporischschja zur Genüge bewiesen, dass es zur Durchsetzung der Interessen des Kreml auch schwerste Atomunfälle in Kauf nimmt. Die deutschen Genehmigungsbehörden müssen jetzt ihrer Vorsorgepflicht nachkommen und den Antrag von Framatome ANF zum Ausbau der Atomfabrik ablehnen.“
Weiterer Ablauf des Genehmigungsverfahrens:
Im Verlaufe des Erörterungstermins gab der Vertreter des Bundesumweltministeriums zum weiteren Ablauf des Verfahrens bekannt, dass auf Bundesebene nunmehr diverse Bundesministerien sowie die Sicherheitsbehörden, darunter der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz, eigene Stellungnahmen erarbeiten. All diese Stellungnahmen würden dann dem Umweltministerium in Hannover übermittelt, um in das laufende Genehmigungsverfahren einzufließen. Sobald das niedersächsische Umweltministerium den Entwurf eines Bescheids erarbeitet habe, werde man sich diesen zu einer bundesaufsichtlichen Prüfung übermitteln lassen. Die Anti-Atom-Organisationen kündigten dazu an, dass sie nach einer gründlichen Auswertung des Erörterungstermins und nach Vorliegen des Wortprotokolls auch selbst nochmal eigene Stellungnahmen zu den neu bekannten Fakten erarbeiten und in Hannover einreichen werden. Die Anti-Atom-Organisationen werden ihre Proteste gegen den Weiterbetrieb der Brennelementefabrik Lingen fortsetzen.
Update 21.11: Fortsetzung der Erörterung am Freitag
Auch am Donnerstag wurde länger als anvisiert erörtert, es konnten aber viele Einwände bezüglich Spionage und Außenpolitische Einwände diskutiert werden. Am Freitag morgen geht es ab 9 Uhr weiter.
Update Erörterungstermin: offenbar langfristige Kooperation mit Rosatom.
Bereits zu Beginn des Erörterungsverfahrens wurden viele Befürchtungen der AtomkraftgegnerInnen bestätigt: Die Kooperation mit Rosatom/ TVEL für die lizensierte Produktion von VVER ist nicht nur kurzfristig angelegt. Ab 2030 sollen zwar eigens designte Brennelemente gerfertigt werden können, aber auf Wunsch der Kunden auch weiterhin die von Rosatom/ TVEL lizensierte Brennelemente angeboten/ produziert werden. Damit entfällt der im Erweiterungsantrag genannte Grund, die europäischen Reaktoren russicher Bauart unabhängig von Rosatom beliefern zu können. Bestätigt wurde auch, dass vor Abschluss des Genehmigungsverfahrens bereits russische Rosatom-Mitarbeiter vor Ort in Lingen waren, um ANF-Personal zu schulen. Damit wurden Gefahren bezüglich der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands bezüglich Spionage bereits in Kauf genommen – obwohl diese Fragen durchaus im Genehmigungsverfahren nach Außenwirtschaftsgesetz und Atomgesetz eine Rolle spielen.
Mahnwache und Protestaktion vor Tagungsort Emslandhallen
Massive inhaltliche Kritik an geplantem Rosatom-Einstieg
Zum morgigen Auftakt des Erörterungstermins zum beantragten Ausbau der Brennelementfabrik Lingen veranstalten Anti-Atomkraft-Organisationen vor dem Tagungsort in den Emslandhallen, Lindenstr. 24a, in Lingen ab 8.30 Uhr eine Mahnwache und um 9 Uhr eine Protestaktion. Ab 10 Uhr werden dann in den Emslandhallen unter Leitung des niedersächsischen Umweltministeriums die mehr als 11 000 Einwendungen gegen das Vorhaben des französischen Atomkonzerns Framatome verhandelt, zusammen mit dem Kreml-Konzern Rosatom Brennelemente russischer Bauart für Osteuropa zu fertigen. Das Umweltministerium hat bis zu drei Tage Verhandlungsdauer angesetzt.
Die Brennelementefabrik Lingen darf nicht zum nuklearen Vorposten des Kreml in Westeuropa werden. Auch viele Bürger*innen in Lingen machen sich diesbezüglich Sorgen. Schon die heimlichen Schulungen von Framatome-Mitarbeiter*innen im Frühjahr haben Rosatom und damit der russischen Regierung direkten und persönlichen Zugang in Lingen verschafft. Die Passivität der deutschen Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang ist fatal. Auch deshalb ist der jetzige Erörterungstermin so wichtig.
Rosatom spielt als russische Atombehörde auch für das russische Militär eine wichtige Rolle. Der Großkonzern verwaltet und verantwortet die Einsatzfähigkeit der Atomwaffen, ist als Besatzer des Atomkraftwerks Saporischschja am Ukraine-Krieg beteiligt und mit der Entwicklung des atomaren Marschflugkörpers Burevestnik beauftragt, von dem sich Russland einen strategischen Rüstungsvorteil gegenüber dem Westen verspricht. 2019 starben fünf Rosatom-Mitarbeiter bei einem Test dieser neuartigen Waffe. Während Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen droht und weitere Waffen mit nuklearen Komponenten entwickeln lässt, lädt Framatome den verantwortlichen Konzern in Lingen als Produktionspartner für Brennelemente für überalterte Atomkraftwerke in Osteuropa ein! Das ist völlig inakzeptabel und muss von der Bundesregierung zurückgewiesen werden.
Ein Einstieg Rosatoms in die Brennelementefertigung in Lingen gefährdet die innere und äußere Sicherheit Deutschlands. Er öffnet Tür und Tor für gefährliche Manipulationen und gibt dem Kreml neue Druckmittel in die Hand. Durch die Zusammenarbeit mit Framatome/ANF könnte Rosatom zudem zukünftige EU-Sanktionen umgehen. Das Projekt ist schlicht verantwortungslos. Bundes- und Landesregierung müssen diesen Irrsinn jetzt stoppen und die beantragte Genehmigung verweigern.
Die weitere Nutzung der Atomenergie ist für Framatome als einem der führenden westeuropäischen Atomkonzerne, anscheinend nur noch als Juniorpartner von Rosatom denkbar. Die Atomenergie ist eine Sackgasse. Wir fordern eine Abkehr von diesem gefährlichen atomaren Irrweg und stattdessen die massive Förderung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, um für die EU eine nachhaltige, zukunftsfähige und unabhängige Energieversorgung sicherzustellen.
Hintergrund:
Der Atomkonzern Framatome will in Lingen in Lizenz und unter Mitwirkung des russischen Staatskonzerns Rosatom künftig auch Brennelemente für Reaktoren russischer Bauart in Osteuropa produzieren. Framatome hat dazu mit der Rosatom-Tochter TVEL ein Joint Venture in Frankreich gegründet. Bereits im Frühjahr waren Rosatom-Mitarbeiter mehrere Wochen lang unkontrolliert in Lingen tätig, um mit einer bislang unbekannten Anzahl von Framatome-Mitarbeitern in täglichem, persönlichem Kontakt in einer ehemaligen Möbelfabrik die Anlagen zur Herstellung der „russischen“ Brennelemente aufzubauen und dann die Framatome-Mitarbeiter daran zu schulen. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben hier tatenlos zugeschaut.
Rosatom ist direkt dem Kreml unterstellt und unter anderem im von Russland militärisch besetzten ukrainischen AKW Saporischschja aktiv am Krieg gegen die Ukraine beteiligt. Zu den gravierenden Sicherheitsproblemen, die ein Einstieg der russischen Regierung in die Brennelementefertigung in Lingen mit sich bringt, verliert Framatome bislang kein Wort. Nicht berücksichtigt werden auch Erkenntnisse der Bundesregierung und der deutschen Geheimdienste, die beständig vor der wachsenden Gefahr russischer Spionage und Sabotage warnen. Die Bundesregierung wollte 2022 die Genehmigung des zunächst in Deutschland geplanten Gemeinschaftsunternehmens mit Rosatom verweigern, hält die Gründe dafür aber bis heute geheim.