Aus Anlass einer öffentlichen Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bundestags am morgigen Mittwoch, 17. Oktober, 11 Uhr, zur Zukunft der Urananreicherungsanlage Gronau und der Brennelementefabrik Lingen fordern die regionalen Anti-Atomkraft-Initiativen sowie der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz einen gesetzlich verankerten Ausstieg aus der Urananreicherung und Brennelementefertigung in Deutschland.
Die morgige Anhörung findet auf Initiative der Fraktionen von Linken und Bündnis 90/Die Grünen von 11 bis 13 Uhr im Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.700, Konrad-Adenauer-Str. 1, in Berlin statt. Ab 8.30 Uhr veranstalten die Anti-Atomkraft-Initiativen vor dem Paul-Löbe-Haus eine Mahnwache.
In einer eigenen Stellungnahme (s.u.) an den Umweltausschuss des Bundestags zeigen die Anti-Atomkraft-Initiativen und der BBU detailliert die gravierenden Probleme der Urananreicherung und der Brennelementefertigung auf. Insbesondere geht es dabei neben den erheblichen Gefahren der zivilen Atomkraft auch um die militärische Dimension insbesondere der Urananreicherung sowie um die ungelöste sichere Entsorgung des Uranmülls.
Mit der Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke zum Jahresende 2022 gibt es in Deutschland keinerlei Bedarf mehr für angereichertes Uran und Brennelemente. Die beiden Atomanlagen haben damit ihren ursprünglichen Versorgungszweck erfüllt und müssen im Rahmen des Atomausstiegs zwingend stillgelegt zu werden. Eine weitere Belieferung von sicherheitstechnisch gefährlichen Atomkraftwerken im nahen wie fernen Ausland ist unverantwortlich und widerspricht dem Sinn des hiesigen Atomausstiegs.
An die Mitglieder des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Sicherhei des Deutschen Bundestages
Sehr geehrte Damen und Herren,
diese gemeinsame Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit des Deutschen Bundestags am 17. Oktober 2018 zum Entwurf eines 16. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zu einem Antrag der Fraktion DIE LINKE für ein Exportverbot für Kernbrennstoffe
wird von folgenden Organisatione getragen:
Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen
Arbeitskreis Umwelt (AKU) Gronau
Arbeitskreis Umwelt (AKU) Schüttorf
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU)
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow
Lüchow-Dannenberg
Elternverein Restrisiko Emsland
SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster
II.Ausgangslage
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima haben sich Bundesregierung und Bundestag aufgrund der erheblichen und allseits unstrittigen Gefahren der Atomenergie 2011 entschlossen, die Nutzung der Atomenergie in Deutschland zum 31. Dezember 2022 zu beenden. Zu diesem Zeitpunkt werden aus diesem Grund in Deutschland für kommerzielle Atomkraftwerke kein angereichertes Uran und auch keine Brennelemente mehr benötigt. Die Bundesrepublik Deutschland ist auch in keiner Weise verpflichtet, ausländische Atomkraftwerke mit in Deutschland hergestellten bzw. verarbeiteten Kernbrennstoffen zu versorgen.
Leider weist das Gesetz zum Atomausstieg von 2011 eine deutliche Lücke auf, weil es die offensichtliche Nutzlosigkeit und auch die Gefährlichkeit einer weiteren Urananreicherung in Gronau sowie der Brennelementefertigung in Lingen nach der Stilllegung der letzten deutschen Atomkraftwerke nicht mitbedacht hat. Da diese beiden Atomanlagen einzig und allein dem Betrieb von kommerziellen Atomkraftwerken zuarbeiten, sind sie unabdingbarer Bestandteil der Stromproduktionskette und von diesem auch nicht zu trennen.
Es ist deshalb fachlich absolut geboten und rechtlich auch konsequent, wenn diese beiden Atomanlagen im Rahmen des Atomausstiegs ebenfalls spätestens zum 31. Dezember 2022 zeitgleich mit dem letzten deutschen Atomkraftwerk stillgelegt werden. Dass dies rechtlich möglich ist, hat ein Gutachten im Auftrag des Bundesumweltministeriums Ende 2017 ausführlich belegt.
II. Urananreicherung und Brennelementeproduktion sind Hochrisikotechnologien
Es gibt keine neutrale Urananreicherung oder Brennelementefertigung. Die weltweiten Auswirkungen der Produktion in Gronau und Lingen sind bei der Bewertung der Atomanlagen immer mit zu berücksichtigen, weil erst der Verwendungszweck ein vollständiges Bild ergibt. Hier drei Beispiele:
a) Der Urananreicherungskonzern Urenco belieferte bis 2011 auch aus Gronau den Fukushima-Betreiber Tepco. Im Jahre 2017 fanden erstmals wieder Transporte mit angereichertem Uran von Gronau nach Japan statt. Ein Lerneffekt bei Urenco ist also nicht festzustellen.
b) Sowohl Urenco wie auch der Lingener Brennelementehersteller Framatome – ein Tochterunternehmen von EDF – beliefern die aufgrund zahlloser Sicherheitsmängel und Pannen umstrittenen belgischen Atomreaktoren in Tihange und Doel z. T. seit Jahrzehnten mit Kernbrennstoffen. Framatome beliefert aus Lingen zudem störanfällige Reaktoren wie Fessenheim und Cattenom. Beide Unternehmen ermöglichen durch ihre Exporte aus Gronau und Lingen also den Betrieb dieser Atomreaktoren, denn ohne Brennelemente läuft kein Atomkraftwerk.
c) Urenco liefert derzeit auch angereichertes Uran ausgerechnet in die Ukraine und ermöglicht dort, in unmittelbarer Nachbarschaft einer seit Jahren militärisch heiß umkämpften Region, den Weiterbetrieb von sicherheitstechnisch umstrittenen Reaktoren. 32 Jahre nach Tschernobyl ist das ein höchst fragwürdiges nukleares Engagement in der Ukraine.
III. Friedenspolitische Probleme der Urananreicherung
Die zivile Anreicherung von Uran durch die Zentrifugentechnologie ist nicht von der technischen Möglichkeit einer Anreicherung zu militärischen Zwecken zu trennen. Die Zentrifugentechnologie kennt keinerlei Möglichkeit einer Beschränkung auf ausschließlich zivile Zwecke. Gerade deshalb
sind z. B. die internationalen Verhandlungen mit dem Iran so kompliziert.
2a) Erst durch den Diebstahl von Blaupausen bei Urenco Almelo vor 40 Jahren durch den pakistanischen Wissenschaftler Dr. Khan sind Länder wie Pakistan und in der Folge auch der Iran und Nordkorea zu den wesentlichen Bausteinen für die Einrichtung einer eigenen Urananreicherung als einer Grundlage für ihre jeweiligen Atomwaffenprogramme gelangt. Urenco ist damit durch laxe Sicherheitsvorkehrungen selbst in erheblichem Umfang mitverantwortlich für einen der international größten Verstöße gegen das Nichtverbreitungs-Gebot von
Atomwaffentechnologie.
b) Nichtverbreitung darf nicht bedeuten, dass alle Beteiligten versuchen, ihre Zentrifugen auf ewig zu behalten. Nichtverbreitung in Zeiten von zunehmenden internationalen Krisen muss auch bedeuten, dass Länder, die über die Zentrifugen verfügen, diese freiwillig und international verifizierbar außer Dienst stellen. Ein solches Vorgehen würde die Bundesrepublik Deutschland zu einem Vorreiter bei der Abschaffung von Atomwaffen machen und der Bundesrepublik ein deutlich erhöhtes internationales und diplomatisches Ansehen verschaffen.
Behält die Bundesrepublik Deutschland eine derart große Urananreicherungsanlage wie die in Gronau, wäre es zukünftig weiterhin innerhalb kürzester Zeit möglich, auch in Deutschland
genügend Uran für die Verwendung in Atomwaffen anzureichern. Unter veränderten politischen Rahmenbedingungen kann dies schnell zu einem sehr ernsten Problem werden.
c) Urenco in Gronau hat ein offensichtliches und sehr ernsthaftes Sicherheitsproblem: Erst im August wurde bekannt, dass ein Mitarbeiter anscheinend über Jahre hinweg Waffenteile unbemerkt in die Urananreicherungsanlage schleusen konnte. Polizei und Staatsanwaltschaft bezeichneten den Mann in der Presse als „Waffennarr“ und ermitteln derzeit. Dieser Vorgang
erschüttert das Vertrauen in die Fähigkeit von Urenco, ihre Urananreicherungsanlage und die militärisch so brisante Zentrifugentechnologie wirklich wasserdicht vor einem Zugriff von außen oder von innen zu schützen.
d) Medien berichteten schon letztes Jahr, dass diverse Atomkraftwerke in den USA, in denen angereichertes Uran von Urenco zum Einsatz kommt, dem US-Atomwaffenprogramm zuarbeiten. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die hundertprozentige Zivil-Klausel im Vertrag von Almelo, mit dem die Urenco gegründet wurde. Da die USA über keine landeseigene Urananreicherung mehr verfügen, ist der Einkauf von angereichertem Uran bei Urenco die derzeit einfachste Lösung für US-Atomkraftwerksbetreiber.
Derzeit werden rund 50 % des angereicherten Urans aus Gronau in die USA exportiert. Damit steigt leider die Wahrscheinlichkeit, dass angereichertes Uran aus Gronau direkt oder indirekt in
Teilen des US-Atomwaffenprogramms zum Einsatz kommt. Diese Aussicht ist sehr beunruhigend.
e) Auch die jahrelangen Versuche der bisherigen Eigentümer von Urenco, ihre Urenco-Anteile auf dem Weltmarkt zu verkaufen, zeigen, dass eine Weiterverbreitung der Urananreicherungstechnologie eine sehr reale Sorge ist. Jeder Verkauf an neue Eigentümer bringt neue Risiken mit sich. Eine Stilllegung der Urananreicherungskapazitäten ist demgegenüber eine absolut saubere und sichere Alternative.
IV. Uranmülllagerung ungelöst – weltweite Urantransporte
Genau wie bei allen Arten von Atommüll ist die Lagerung von abgereichertem Uran völlig ungelöst. Bis 2009 exportierte die Urenco von Gronau rund 27 000 t abgereichertes Uranhexafluorid nachRussland zur Langzeitlagerung. Seither soll das Uran für die langfristige Lagerung in Frankreich zu Uranoxid umgewandelt werden. 10 000 t wurden dort jedoch unter dubiosen Begründungen mit dem Vereinigten Königreich „getauscht“ und sollen nun dorthin verbracht werden. Rund 20 000 t Uranhexafluorid liegen derzeit aber außerdem unter offenem Himmel zur „Freilagerung“ völlig ungeschützt auf dem Gelände der Urananreicherungsanlage Gronau. Eine eigens errichtete Anlage zur Lagerung von Uranoxid steht seit der Fertigstellung 2014 ungenutzt leer.
Weiterhin wird Atommüll aus der Gronauer Urananreicherungsanlage im Fasslager Gorleben deponiert. Der Weiterbetrieb der Gronauer Urananreicherungsanlage bedingt weitere Atommülltransporte von Gronau nach Gorleben.
Ein tragfähiges und langfristiges Konzept zur sicheren Endlagerung des abgereicherten Urans und anderer uranhaltiger Reststoffe aus Gronau und Lingen ist hier nicht im Ansatz zu erkennen.
Zudem erzeugen die zahllosen Transporte von Uran von und zur Urananreicherungsanlage Gronau sowie von und zur Brennelementefabrik Lingen weitere Gefahrenpotenziale, die unter anderem durch Transportunfälle begründet sind. Uranhexafluorid kann schon im Kontakt mit Luftfeuchtigkeit die tödliche Flusssäure bilden und somit erhebliche gesundheitliche Schäden verursachen.
V. Terrorgefahren sind ein ernstes Problem
Transporte von Uranhexafluorid von und zur Urananreicherungsanlage Gronau sowie von Brennelementen von und zur Brennelementefabrik Lingen können aufgrund des geringen Schutzes immer auch Ziele von terroristischen Attacken werden. Die Transporte erfolgen in der Regel ohne Polizeibegleitung. Auf diese erheblichen Gefahren weisen die Bürgerinitiativen schon seit Jahren hin – geschehen ist hier wenig bis gar nichts.
Auch das sehr weitläufige Freilager für Uranhexafluorid auf dem Gelände der Urananreicherungsanlage Gronau stellt unter diesen Gesichtspunkten ein erhebliches und nicht hinnehmbares Risiko im Bereich Terrorismus dar. Der Überflug durch Drohnen oder
Sportflugzeuge kann nicht unterbunden werden. Wie eine solche Freilagerung unter offenem Himmel, nur abgesichert durch einen Drahtzaun, im Jahre 2018 noch immer als sicherheitstechnisch aktuell betrachtet werden kann, ist völlig schleierhaft.
VI. Zusammenfassung
Nach der Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke zum 31. Dezember 2022 würden die Urananreicherungsanlage Gronau sowie die Brennelementefabrik Lingen nur noch für den Export produzieren. Die Uranfabriken würden den Weiterbetrieb vieler hochproblematischer Atomkraftwerke im nahen wie fernen Ausland ermöglichen. Für das Inland werden beide Atomanlagen nicht mehr benötigt und damit ist auch ihr ursprünglicher Zweck erfüllt. Mit ihrem Weiterbetrieb wären zivil wie friedenspolitisch enorme Belastungen und Gefahren verbunden.
Die Stilllegung der Uranreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementefabrik in Lingen ist eine konsequente Umsetzung des Atomausstiegs-Beschlusses von 2011 und damit fachlich wie
rechtlich dringend geboten und auch möglich.