Die Neue Osnabrücker Zeitung meldet, dass der französische Atomkonzern Framatome doch ein Joint Venture zur Brennelementeproduktion mit dem Kreml-Konzern Rosatom plant. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die von Framatome betriebene Brennelementefabrik in Lingen/Emsland. Das Joint Venture soll nunmehr nicht – wie noch vor einem Jahr geplant – in Deutschland registriert werden, sondern in Frankreich. Anti-Atom-Organisationen sind entsetzt, dass Frankreich versucht, mitten im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine die atomare Partnerschaft mit Russland weiter voranzutreiben. Auch die Lingener Brennelementefabrik wird damit zwangsläufig in den Einflussbereich des Kreml geraten, egal ob das Joint Venture in Frankreich oder Deutschland registriert wird. Es ist auch mit einer Zunahme an Uranlieferungen aus Russland zu rechnen. Bereits am 14. Dezember wird erneut die Ankunft des russischen Atomfrachters Mikhail Dudin in Rotterdam erwartet.
Framatome betreibt im Brennelementesektor (via Framatome Lingen) und Technikbereich (via Framatome Erlangen) eine massive Ostexpansion: Nach Kasachstan stehen nun auch China, Temelin in Tschechien sowie nach eigenen Recherchen auch Bulgarien (AKW Kozloduj) auf der Wunschliste des französischen Staatskonzerns, einer Tochter von EDF. Und die Beteiligung deutscher Standorte konterkariert jeden Wunsch nach Atomausstieg – Deutschland wird von Framatome in alle möglichen atomaren Krisenherde mit hineingezogen. Die Anzahl der Pannenreaktoren wächst rapide – und nunmehr überall auch mit der Beteiligung von Russland!
Unterdessen schlägt das Bundesumweltministerium (BMUV) erstmals ganz andere Töne an: In einem Brief an das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen vom 30. November befürwortet das Umweltministerium erstmals seit Amtsantritt von Ministerin Steffi Lemke (Grüne) explizit das Ende der Brennelementefertigung und der Urananreicherung in Deutschland: „Es ist aus Sicht des BMUV im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des deutschen Atomausstiegs generell erforderlich, die Kernbrennstoffproduktion zu beenden.“ Dazu sei eine „Änderung der Gesetzeslage erforderlich.“
Zudem schreibt das BMUV mit Blick auf die laufenden Urangeschäfte zwischen der Brennelementefabrik Lingen und dem Kreml-Konzern Rosatom: „Auf europäischer Ebene setzen wir uns für eine Erweiterung der Sanktionsmaßnahmen auf die russische kerntechnische Industrie ein.“ Das würde mit Sicherheit auch ein Joint Venture zwischen Rosatom und Framatome betreffen.
Konkret ist nunmehr bekannt, dass Framatome via Russland und Kasachstan auch chinesische AKW mit Uranbrennstoff beliefern will. Just gestern nahm die neue kasachische Brennelementefabrik Ulba in Ust-Kamenogorsk die Belieferung Chinas auf. Für Lingen wurden im November Lieferungen von Brennstäben via Russland nach Kasachstan genehmigt. Und am 14. Dezember sollen diese Brennstäbe mit der Mikhail Dudin von Rotterdam aus verschifft werden. Endkunden in China können nach Recherchen von Anti-Atomkraft-Organisationen angesichts des Brennelement-Typs z. B. die beiden von EDF gebauten EPR-Reaktoren in Taishan sein oder aber die von Framatome vor 30 Jahren gebauten Reaktoren in Daya Bay. Sie werden vom staatlichen Atomkonzern CGN betrieben. Brisant: Die US-Regierung hat laut Reuters bereits im Herbst 2021 aus Angst vor einer militärischen Nutzung Uranlieferungen an genau diesen Konzern „ausgesetzt“.
Die Neue Osnabrücker Zeitung berichtete gestern zudem, dass Framatome nun auch Tschechien mit „russischen“ Brennelementen beliefern möchte. Dazu benötigt Framatome aber die direkte Kooperation von Rosatom. Das gilt auch für Bulgarien. Dort besuchte nach unseren Recherchen Ende November der Framatome-Chef Bernard Fontana den bulgarischen Präsidenten, um Brennelement-Lieferungen anzubieten.
Framatome hat zudem im April die Tochter „Framatome Bulgaria“ gegründet, um das bulgarische AKW Kozloduj technisch aufzurüsten. Dafür ist bei Framatome vor allem der bayrische Standort Framatome Erlangen zuständig. Von dort wurde nach Framatomes eigenen Angaben auch bereits beim Bau der kasachischen Brennelementefabrik mit technischer Expertise und Ausrüstung mitgewirkt.
Anti-Atomkraft-Initiativen, der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und die Ärzteorganisation IPPNW fordern nun zeitnah vom BMUV konkrete gesetzliche Vorschläge, um die Kernbrennstoffproduktion tatsächlich zu beenden. Dabei geht es sowohl um die Stilllegung der Brennelementefabrik in Lingen/Emsland wie auch der Urananreicherungsanlage in Gronau/Westfalen. Außerdem erwarten wir von der niedersächischen Landesregierung umfassende Aufklärung und Öffentlichkeitsbeteiligung für die Pläne von Framatome, für die Ostexpansion die Brennelementefabrik Lingen sogar noch auszubauen – von wegen Atomausstieg. Die zunächst positive Reaktion des grünen Umweltministeriums in Hannover halten die Initiativen für „gefährlich naiv“, weil sich zeigt, dass die Landesregierung den Umfang der zukünftigen Einflussmöglichkeiten von Russland und China auf die Atompolitik in Deutschland nicht einmal ansatzweise verstanden hat. Dagegen ist die Diskussion um den Einstieg Chinas im Hamburger Hafen eine Petitesse.
„Die Bundesregierung kann und muss in Eigenregie sämtliche Genehmigungen für Atomgeschäfte zwischen der Brennelementefabrik Lingen und Rosatom zurücknehmen und darf keine neuen Genehmigungen erteilen. Rosatom ist durch die Kontrolle des hart umkämpften AKW Saporischschja in der Ukraine unmittelbare Kriegspartei – einen Kreml-Konzern dürfen deutsche Behörden nicht unterstützen. Die Bundesregierung muss zudem der französischen Regierung klar machen, dass eine Beteiligung Russlands an der Brennelementeproduktion von Framatome in welcher Form auch immer absolut inakzeptabel ist. Wir lehnen die atomaren Expansionspläne von Framatome entschieden ab. Das Ganze ist eine riesige Mogelpackung, die zu vielen neuen Gefahren und Energieabhängigkeiten führen wird, wenn die Pläne umgesetzt werden sollten,“ so eine erste Reaktion.