Atommüll for ever – eine Bestandsaufnahme für NRW und Niedersachsen

Ausgangslage:

Atommüll verschwindet nicht einfach nach Abschaltung der letzten großen AKWs, sondern strahlt zum Teil Zehntausende von Jahren. Halbwertszeiten halten sich nicht an politische oder gesellschaftliche Wünsche. Die sichere und schadlose Atommüllentsorgung ist angesichts dessen weltweit weiterhin ungelöst. In Deutschland lagert Atommüll an zahlreichen Standorten, neue sollen in Kürze dazukommen – ohne dass dies die Atommüllentsorgung in zentralen Punkten verbessern wird. Außerdem: An mehreren Atomstandorten, vor allem in Gronau (Urananreicherung), wird weiter massenhaft Atommüll produziert, weil die Politik den Atomausstieg nicht real vollendet.

Klar ist, dass zentrale Atommüllprojekte gescheitert sind: Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll wurde um mehrere Jahrzehnte vertagt, das zentrale Endlager für mittel- und schwachradioaktiven Atommüll ist wegen erheblicher Sicherheitsmängel heftig umstritten und für den abgereicherten Uranmüll aus der Urananreicherung in Gronau wurde noch gar nicht nach geeigneten Entsorgungsmöglichkeiten gesucht, weil der Uranmüll bis 2020 einfach nach Russland exportiert wurde …

Zudem: Der verantwortungsvolle Umgang mit Atommüll erfordert eine Weitergabe von Wissen über viele Generationen hinweg. Doch schon jetzt ist eine Überalterung der Expert:innen festzustellen – in den Behörden wie in der Anti-Atom-Bewegung. Wenn in 20 bis 30 Jahren die Entscheidung über das neue Endlager für hochradioaktiven Atommüll fallen soll, kann es sein, dass sich die Mehrzahl der Betroffenen an den vorgesehenen Standorten die grundlegenden Fragen und Probleme der Atommülllagerung ganz von vorne wieder neu aneignen muss.

Das ist auch eine Folge der bisherigen Strategie, Atommüll entweder einfach irgendwo wegzukippen (Beispiel Asse in Niedersachsen), die Sicherheitsstandards drastisch zu senken oder nicht dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik anzupassen (Beispiele Morsleben und Schacht Konrad) oder aber Hallen diverser Standhaftigkeit irgendwo auf die grüne Wiese zu setzen (Beispiele Ahaus und Gorleben) oder den Atommüll erstmal an den AKW-Standorten zu behalten („standortnahe“ Lagerung).

All das hat die Probleme nur vertagt und bürdet die Verantwortung für die Lösung der Atommüllfrage zukünftigen Generationen auf – ein schlimmes Erbe nicht nur der deutschen Atompolitik.

Und wem gehört der Atommüll in Deutschland eigentlich? Früher lag die Atommüllentsorgung in der Hand der Atomkonzerne und z. T. des Staates. Vor einigen Jahren durften sich die Atomkonzerne – also RWE, EON, ENBW und Vattenfall – von dieser Verantwortung freikaufen. Seither ist der Staat – also wir alle – alleine für die Ewigkeitskosten der Atomenergie zuständig. Ergo: Die Gewinne der Atomenergienutzung verblieben bei den Konzernen, die Atommüllentsorgung müssen zukünftige Generationen aus den Steuern bezahlen.

 

Hier ein kleiner Überblick über die aktuellen Atommüll-Auseinandersetzungen in NRW und Niedersachsen:

1. Ahaus

Ahaus wurde als zentrales Brennelemente-Zwischenlager 1992 in Betrieb genommen und damit auf der grünen Wiese als neuer Atommüllstandort etabliert. Die Leichtbauhalle der ersten Generation – baugleich zu Gorleben – hält im Ernstfall keinem Flugzeugabsturz stand und wäre nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik nicht mehr genehmigungsfähig.

Dennoch stehen dort über 300 Castoren mit hochradioaktivem Atommüll aus Hamm (ehem. Thorium-Hochtemperatur-Reaktor), Neckarwestheim, Gundremmingen und Dresden-Rossendorf (ehem. DDR-Forschungszentrum). Seit Jahren sind für Ahaus weitere Castor-Transporte angekündigt, vor allem aus Jülich und München-Garching. Zudem lagert in Ahaus mittel- und schwachradioaktiver Atommüll.

Ursprünglich war die Lagerung in Ahaus auf 2036 begrenzt, doch mittlerweile steht bereits 2057 als mögliches Enddatum fest. Realistisch ist jedoch eine Lagerung bis mindestens weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts angesichts der fehlenden sicheren Entsorgungsmöglichkeiten.

Ein gravierendes Problem hierbei ist – wie auch an allen sog. „Zwischen“-Lager-Standorten: Die Atommüllbehälter wurden niemals für diese Dauerlagerung konzipiert, sodass völlig unklar ist, ob Castoren und andere Atommüllbehälter nicht irgendwann ausgestauscht werden müssen, was neue Atommüll-Logistikzentren erforderlich machen würde; ein weiterer Atommüll-Alptraum mit Ansage.

 

2. Gronau

In Gronau lagern Zehntausende Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid als Atommüll auf dem Freigelände der Urananreicherungsanlage von Urenco – ohne jede Abdeckung. Für den Uranmüll gibt es in Deutschland (natürlich) keine sichere Entsorgung, weil man den Uranmüll bis 2020 ganz bequem nach Russland exportiert hat. Das Problem wächst durch den ungebremsten Weiterbetrieb der Urananreicherungsanlage Jahr für Jahr um mehrere Tausend Tonnen an – Lösungsvorschläge vom Betreiber Urenco und von den Behörden: bislang Fehlanzeige!

Ein Grund dafür: Im Gegensatz zu anderen Atomkonzernen darf Urenco allein bestimmen, was Atommüll ist und was nicht. So wurde eine Lagerhalle für Uranoxid zwar 2014 fertiggestellt, aber seither nicht in Betrieb genommen. Uranoxid wäre besser geeignet für eine langfristige Lagerung. Aber: Die Konversion von Uranhexafluorid in Uranoxid ist teuer, findet nur in Frankreich und GB statt und macht aus dem angeblichen „Wertstoff“ definitiv Atommüll. Das wollen die Urenco-Eigentümer – u. a. RWE und EON – unbedingt verhindern, aber auch die NRW-Landesregierung und die Bundesregierung wollen kein neues zusätzliches Atommüllproblem.

Fazit: Die Zukunft des Gronauer Uranmülls aus der Urananreicherung ist ein bislang völlig unbeachtetes und ein nicht mal im Ansatz gelöstes Atommüllproblem in Deutschland.

 

3. Jülich

Der sog. AVR-Reaktor im Forschungszentrum Jülich (früher: Kernforschungsanlage Jülich) hat ca. 300 000 hochradioaktive Brennelementkugel als Atommüll hinterlassen, verpackt in 152 Castor-Behälter.

2009 wurde bekannt, dass das Forschungszentrum, das zu 90 % dem Bund und zu 10% NRW gehört, die Castoren ins Zwischenlager Ahaus bringen möchte. Doch die Pläne scheiterten am Widerstand in Ahaus und in Jülich selbst. Das Jülicher Zwischenlager ist schon seit 2013 ohne Genehmigung, weil zu kurzsichtig geplant – Exportpläne in die USA scheiterten 2022 ebenfalls. Derzeit gibt es nur noch zwei Optionen: Neubau eines Zwischenlagers in Jülich oder Abtransport über die Autobahnen im Ruhrgebiet nach Ahaus. Die Anti-Atom-Inis in Jülich fordern den Neubau vor Ort, Bund und Land NRW streiten sich seit mehr als zehn Jahren ohne Ergebnis.

Jülich zeigt, dass es für einmal entstandenen Atommüll keine guten Lösungen mehr gibt – Jülich ist ein Mahnmal, neuen Atommüll um jeden Preis zu vermeiden.

 

4. Würgassen

Wider alle Vernunft soll in NRW an der Weser mit dem sog. Atommüll-Logistikzentrum Würgassen sogar noch eine weitere Atomanlage in Betrieb genommen werden, obwohl der Standort erkennbar nur nach politischen Kriterien ausgesucht wurde (dort stand schon ein AKW, die Fläche ist also „vorhanden“). Obwohl weit abgelegen und ohne gute Verkehrsanbindungen über Straße und Schiene soll Würgassen als Eingangslager für den Schacht Konrad (s. unten) dienen, um dort ein weiteres Genehmigungsverfahren zu vermeiden.

Auch hier zeigt sich, dass die Atommüllentsorgung nicht nach dem bestmöglichen Stand von Wissenschaft, Technik und Logik angepackt wird, sondern primär nach politisch-juristischen Erwägungen. Vor Ort in Würgassen gibt es deshalb starken Widerstand, der das Projekt durchaus noch kippen kann. Das wäre auch wünschenswert.

 

5. Lingen

In Lingen gibt es ein Castor-Lager am AKW Emsland sowie nach dem 15. April gleich zwei große AKW-Ruinen, die demontiert und als Atommüll gelagert werden müssen. Die Demontage findet weitgehend vor Ort statt, z. T. in neuen Hallen. Schon jetzt ist klar, dass durch „Freimessen“ große Mengen Bauschutt nicht als Atommüll deklariert werden sollen, sondern preisgünstig und ohne weitere Auflagen auf normalen Deponien „verschwinden“ sollen.

Für den hochradioaktiven Atommüll im Castor-Lager gibt es genau wie in Ahaus, Jülich und Gorleben kein belastbares Entsorgungskonzept, sodass eine oberirdische Dauerlagerung zu erwarten ist – die aber niemals vorgesehen war.

 

6. Schacht Konrad

Ebenfalls wider alle Vernunft und gegen starken, jahrzehntelangen und fachlich sehr gut begründeten Widerstand soll in Niedersachsen mit dem Schacht Konrad ein marodes und gänzlich ungeeignetes ehemaliges Bergwerk als „Endlager“ für mittel- und schwachradioaktiven Atommüll in Betrieb genommen werden. Auch das würde zu einem neuen Atomstandort führen – für Jahrtausende!

In den 1990er-Jahren legten Hunderttausende Widerspruch ein gegen die Pläne, die aber politisch und juristisch durchgesetzt wurden, u. a. durch das gefährliche Absenken von nötigen Ewigkeits-Vorsorgemaßnahmen. Die Lagerung von Atommüll muss ja nicht nur heute ungefährlich sein, sondern auch noch in 100, 1000 und sogar 10 000 Jahren.

Die realen Probleme des Schacht Konrad sind aber immens: Ursprünglich sollte „der Schacht“ schon 2013 fertig sein, jetzt ist 2027 im Gespräch, aber auch das scheint unrealistisch. Umweltverbände haben zudem die Aufhebung der bisherigen Genehmigungen gefordert, weil Konrad schon nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik nicht mehr genehmigungsfähig wäre. Aus diesem Grund gab es auch bereits zahlreiche Änderungen am Konzept, die aber ohne neue Öffentlichkeitsbeteiligung einfach durchgewunken wurden.

Auch das ist Atommüll: Einmal erlassene Genehmigungen schließen zukünftige Generationen von jeder Mitwirkung aus. Erfolgt eine Einlagerung, werden womöglich irreversible Fakten geschaffen, wie im benachbarten Schacht Asse drastisch deutlich wurde.

Von daher fordern die Initiativen vor Ort, zahlreiche Umweltverbände, aber auch die Nachbarkommunen die Aufhebung der Genehmigungen und eine vollständige Neuplanung für das benötigte bundesweite Endlager für mittelschwachaktiven Atommüll. Ein unbelasteter Neustart wäre die einzig saubere Lösung.

 

7. Asse, Morsleben, Gorleben

Die Geschichte der Atommülllagerung in Niedersachsen und der ehemaligen DDR ist voller Katastrophen, Vertuschungsversuchen und gescheiterten Projekten. In der undichten Asse wurde Atommüll in den 1970er-Jahren einfach heimlich verklappt, ohne eine Rückholmöglichkeit einzuplanen. Es kam zu extrem gefährlichen Leckagen, die u. a. das Grundwasser bedrohen. Der Atommüll müsste deshalb seit Jahren dringend geborgen werden, doch niemand traut sich das zu. Die Asse-Katastrophe setzt sich deshalb weiter fort – Ausgang völlig ungewiss.

Morsleben war von der DDR wenige Kilometer östlich von Helmstedt an der A2 direkt an die Grenze zur BRD gebaut worden und musste nach 1990 aufwendig saniert werden – Haltbarkeit ungewiss.

Gorleben war politisch über 40 Jahre lang als zentraler bundesweiter Endlager-Standort für den westdeutschen hochradioaktiven Atommüll in einem Salzstock vorgesehen – spiegelbildlich zu Morsleben ebenfalls direkt an der DDR-Grenze.

Jahrzehntelang waren die Proteste in Gorleben gegen das Endlager und die damit verbundenen Castor-Transporte für das vorgeschaltete „Zwischen“-Lager ein zentraler Fokuspunkt für die bundesdeutsche Anti-Atom-Bewegung.

Schließlich wurden die Endlagerpläne wegen der offensichtlichen Unzulänglichkeiten von Salzstöcken und dem breitem und nicht nachlassenden Widerstand aufgegeben.

Doch im eigens dafür errichteten zentralen Zwischenlager wurden zwischen 1995 und 2011 über 100 Castoren mit hochradioaktivem Atommüll eingelagert, die nun eigentlich am „falschen“ Standort stehen und die wunderbare Naturregion Wendland mit einem massiven Atommüll-Problem belasten. Lösung: ungewiss.

 

Fazit:

Solange die wachsenden Atommüll-Berge aus der gesellschaftlichen und politischen Debatte einfach ausgeblendet werden, fällt das Problem politisch nicht ins Gewicht. Die Folge ist, dass unsere nachkommenden Generationen die immense Last aufgebürdet bekommen – das ist völlig unverantwortlich, aber leider typisch für die angeblich so saubere und nachhaltige Atomkraftnutzung.

Was die sichere Entsorgung des Atommülls angeht, stehen wir auch 80 Jahre nach Beginn des Atomzeitalters noch immer erst am Anfang. Das ist eine bittere Realität.